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Urodynamik (Harnblasendruckmessung): Zystometrie
- Uroflow (Harnblasendruckmessung)
- Urodynamik (Harnblasendruckmessung): Zystometrie
- Urethradruckprofil und Beckenboden-EMG
Die Zystometrie (Blasendruckmessung) ist eine invasive Untersuchungsmethode, bei der mit Hilfe von urethralen, vesikalen und rektalen Drucksonden die Harnblasenspeicherung und die Harnblasenentleerung untersucht wird. Die Zystometrie kann mit Kontrastmittel durchgeführt werden und ermöglicht während der Füllung und Entleerung der Harnblase die Bildgebung des unteren Harntrakts (Video-Urodynamik = Zystometrie + Miktionszysturethrographie).
Indikationen für die Zystometrie
Die Zystometrie ist eine für den Patienten belastende Untersuchung (Schmerzen, Strahlenbelastung, Infektionsrisiko), mit Kosten und Aufwand verbunden und daher einer ausreichend begründeten Indikation bedarf.
- Harninkontinenz der Frau: vor operativer Therapie, insbesondere wenn gleichzeitig eine Dranginkontinenz, ein ausgeprägter Organdeszensus oder eine Harnblasenentleerungsstörung vorliegt. Die Zystometrie ist auch nach erfolgloser operativer Therapie vor weiteren invasiven Maßnahmen notwendig. Vor konservativer Therapie der Harninkontinenz soll keine Urodynamik durchgeführt werden.
- Harninkontinenz des Mannes: vor operativer Therapie der Belastungsharninkontinenz wird eine Zystometrie empfohlen, dies wird jedoch für Patienten nach Prostatektomie auch angezweifelt. Vor konservativer Therapie der Harninkontinenz soll keine Zystometrie durchgeführt werden.
- Neurogene Harnblasenfunktionsstörungen: die Zystometrie ist indiziert bei Versagen der konservativen Therapie, bei neurologischen Erkrankungen mit Gefahr für hohe Harnblasenentleerungsdrücke und vor invasiver Therapie.
- Benignes Prostatasyndrom: die EAU-Leitlinie empfiehlt, die Zystometrie in unklaren Fällen vor operativer Therapie zu erwägen, insbesondere bei einer Harnflussrate über 15 ml/s, bei Verdacht auf eine neurogene Harnblasenfunktionsstörung ohne Obstruktion, bei Männern unter 50 Jahren, bei Männern über 80 Jahren und bei Restharn über 300 ml. Die Empfehlung wird als schwach gewertet, da keine kontrollierten Studien vorliegen, die den Erfolg der erweiterten Diagnostik nachweisen.
Untersuchungstechnik der Zystometrie
Als Untersuchungsposition stellt die sitzende Körperposition den besten Kompromiss zwischen Praktikabilität und Simulation von Alltagsbelastungen dar. Die Untersuchung beginnt mit leerer Harnblase, nach Erreichen der funktionellen Harnblasenkapazität (starker Harndrang) wird die Miktion eingeleitet. Über den gesamten Untersuchungszeitraum werden der intravesikale Druck und der abdominelle Druck kontinuierlich aufgezeichnet. Der intravesikale Druck wird über einen suprapubischen Katheter oder transurethralen Katheter gemessen. Eine Drucksonde im Rektum registriert den abdominellen Druck. Der Detrusordruck wird aus der Differenz von intravesikalem und abdominalem Druck berechnet.
Als Standardmedium wird körperwarme Kochsalzlösung oder Kontrastmittel verwendet, wenn gleichzeitig ein Miktionszysturethrogramm oder eine Videourodynamik geplant ist. Die Harnblasenfüllrate ist variabel: langsam (10 ml/min), mittel (10–100 ml/min) oder schnell mit >100 ml/min. Nach ICS soll die maximale physiologische Füllrate nach folgender Faustformel geplant werden: Körpergewicht in kg dividiert durch vier ergibt die Füllrate in ml/min. Je schneller die Harnblasenfüllung ist, desto häufiger treten falsch-pathologische Befunde wie eine kleine Blasenkapazität oder autonome Detrusorkontraktionen auf.
Normalbefunde der Zystometrie
Der normale Kurvenverlauf bei einer Zystometrie ist in Abb. Normalbefund der Zystometrie dargestellt.
Harnblasenkapazität:
Die Harnblasenkapazität ist das maximale Füllungvolumen der Harnblase. Je nach Art der Messung wird die funktionelle Harnblasenkapazität (maximales Miktionsvolumen im Miktionstagebuch), die zystometrische Harnblasenkapazität (während Urodynamik) und die maximale Harnblasenkapazität unter Narkose unterschieden.
Normalwerte Frauen: 250–550 ml, Männer: 350–750 ml. Die Harnblasenkapazität bei Kindern wird nach folgender Formel berechnet:
V = (Lebensalter + 2) × 30 [ml] | (1.10) |
Die bei der urodynamischen Untersuchung gemessenen Harnblasenkapazitäten sind geringer als die mit einem Miktionsprotokoll ermittelten. Eine Überdehnung der Harnblase sollte im Rahmen der urodynamischen Untersuchung vermieden werden, da sonst bei der folgenden Miktion eine Detrusorschwäche vorgetäuscht werden kann.
Differentialdiagnose der niedrigen Harnblasenkapazität:
Enuresis, Inkontinenz, Wandinduration durch Entzündung, Fibrose, Bestrahlung, Operationen, Tumoren oder neurogene Harnblasenstörungen mit autonomen Kontraktionen. Erkrankungen der Harnblasenwand führen zu einer konstanten niedrigen Harnblasenkapazität. Bei der aktiven niedrigen Harnblasenkapazität führen neurologische Faktoren zu einer inkonstanten verminderten Harnblasenkapazität mit autonomen Detrusorkontraktionen.
Differentialdiagnose der zu hohen Harnblasenkapazität:
Schädigung der sensiblen Afferenzen (Diabetes, Lues), schlaffe motorische Harnblasenlähmung, Harnblasenüberdehnung bei (chronischer) subvesikaler Obstruktion, kongenitale Megazystis, Prune-Belly-Syndrom, chronische Infektionen.
Sensibilität:
Während der möglichst langsamen Harnblasenfüllung wird das Empfinden des Patienten dokumentiert: erstes Gefühl der Harnblasenfüllung (normal ab 100–200 ml oder >60% der Harnblasenkapazität), erster Harndrang und unaufschiebbarer Harndrang (entspricht der funktionellen Harnblasenkapazität).
Gesteigerte Harnblasensensibilität:
Die gesteigerte Harnblasensensibilität manifestiert sich durch einen verfrühten Harndrang während der Harnblasenfüllung ohne oder mit Zeichen einer Detrusoraktivität. Differentialdiagnose siehe oben bei verminderter Harnblasenkapazität.
Reduzierte oder fehlende Harnblasensensibilität:
Störung der afferenten Innervation wie bei Diabetes mellitus, Lues, perniziöse Anämie, Herpes genitalis oder Hinterhornläsionen des Rückenmarks.
Schmerzhafte Harnblasenfüllung:
Zeichen für eine interstitielle Zystitis oder das Blasenschmerzsyndrom (bladder pain syndrome), aber auch bei Infektionen oder Tumoren möglich.
Detrusorfunktion während der Füllung:
Der Normalbefund ist ein gehemmter Detrusor während der Füllung ohne Zeichen der Kontraktionen. Unter langsamer Füllung bleiben die Drücke in der Harnblase meist unter 10 cm H2O [Abb. Normalbefund der Zystometrie].
Detrusorüberaktivität:
Die Detrusorüberaktivität (engl. detrusor overactivity) kann phasisch (Druckanstieg ohne komplette Harnblasenentleerung) oder terminal (Detrusorkontraktion mit kompletter Harnblasenentleerung) sein. Ist die Detrusorüberaktivität auf eine neurologische Erkrankung zurückzuführen, spricht man von einer neurogenen Detrusorüberaktivität (veraltet Detrusorhyperreflexie). Bei der idiopathischen Detrusorüberaktivität (veraltet Detrusorinstabilität) bleibt die Ursache unklar. Bei der Dokumentation von Detrusorkontraktionen sind das auslösende Moment (Husten, Eiswasser oder spontan), die Höhe der Detrusorkontraktionen und das Volumen der Harnblasenfüllung wichtig [Abb. Urodynamik bei neurogener Detrusorüberaktivität].
Differentialdiagnose der Detrusorüberaktivität: Entzündungen, neurogene Harnblasenstörung, funktionelle Harnblasenstörung, Tumoren (CIS). Bei der urodynamischen Untersuchung von Gesunden können autonome Kontraktionen aber ebenfalls vorkommen.
Eiswassertest: Detrusorkontraktionen in Reaktion auf eine Eiswasserfüllung weisen auf eine supraspinale neurologische Läsion hin, da diese Kontraktionen normalerweise durch supraspinale Zentren gehemmt werden Geirsson u.a., 1999.
Dehnbarkeit oder Compliance der Harnblase:
Die Dehnbarkeit der Harnblase wird aus dem Quotienten der Differenz der Volumenänderung (ΔV) und Differenz der Detrusordrücke (ΔPdet) nach folgender Formel errechnet:
Compliance = ΔV / ΔPdet
Die ICS empfiehlt als ersten Messpunkt den Beginn der Füllungsphase und als zweiten Messpunkt das Erreichen der funktionellen Harnblasenkapazität vor der ersten Detrusorkontraktion oder vor dem ersten Urinverlust.
Normalwert der Compliance: >20 ml/cm H2O, dies entspricht einem stabil niedrigen intravesikalen Druck (p<15 cm H2O) bis zur Harnblasenkapazität. Der intravesikale Druck am Ende der Füllungsphase sollte deutlich unter 40 cm H2O liegen, höhere Drücke gefährden den oberen Harntrakt. Eine schnelle Harnblasenfüllung kann eine falsch-niedrige Compliance vortäuschen, bei niedriger Compliance ist eine Wiederholung mit langsamer Füllung erforderlich.
Abdominal Leak point pressure (ALPP):
Der abdominelle Druck, beim welchem Urin ohne eine Detrusoraktivität über die Harnröhre entweicht, ist ein wichtiger Parameter für die Sphinkterkraft und wird bei Patienten mit einer Belastungsinkontinenz ermittelt. Die Untersuchung erfolgt am besten im Stehen bei halb bis submaximal gefüllter Blase, je nach Schweregrad der Inkontinenz. Der Patient wird aufgefordert, ein langsames Valsalva-Manöver durchzuführen. Der niedrigste intravesikale Druck, der zum Urinabgang führt, wird dokumentiert. Der ALPP korreliert gut mit dem Schweregrad der Belastungsinkontinenz. Ein ALPP unter 60cm H2O geht meist mit einer schweren Belastungsinkontinenz einher. Der Messkatheter kann eine geringgradige Harninkontinenz "abdichten". Bei fehlenden Urinabgang und klinischen Hinweisen auf eine Belastungsinkontinenz kann die Untersuchung ohne Messkatheter durchgeführt werden, der abdominelle Druck wird über die rektale Drucksonde erfasst.
Detrusor leak point pressure (DLPP):
Der DLPP ist der niedrigste Detrusordruck, bei dem Urin über die Harnröhre entweicht (ohne zusätzliche Detrusoraktivität und ohne Bauchpresse). Der DLPP ist ein wichtiger Parameter bei neurogenen Harnblasenstörungen. Ab einem DLPP über 40 cm H2O ist eine Gefährdung des oberen Harntrakts gegeben. Ein hoher DLPP entsteht durch eine schlechte Compliance der Harnblase oder durch eine Detrusorüberaktivität (mit fehlender Sphinktererschlaffung).
Druck-Fluss-Messung:
Bei der Druck-Fluss-Messung werden die Detrusordrücke während der Miktion zusammen mit der Harnstrahlmessung und einem Beckenboden-EMG dargestellt. Folgende Parameter werden erfasst:
- Detrusoröffnungsdruck: Detrusordruck zu Beginn des Harnstrahls
- Detrusordruck bei maximalem Urinfluss und am Ende des Harnstrahls
- Parameter der Harnstrahlmessung): maximale Flussrate, Zeit bis max. Flussrate, Miktionsdauer (Flusszeit).
- Miktionsvolumen
Der Detrusordruck während der Miktion hängt von der Detrusorkraft und dem subvesikalen Widerstand ab. Beide Parameter können urodynamisch nicht direkt gemessen werden. Die Zusammenhänge zwischen Detrusordruck, urethralem Widerstand und Flussrate sind komplex, da viele weitere Faktoren die Harnblasenentleerung beeinflussen: urethrale Dehnbarkeit, maximale Detrusorkraft, Geschlechtsunterschiede, Harnblasenfüllung und Beckenbodenaktivität. Die Detrusordrücke liegen zum Zeitpunkt des maximalen Harnflusses normalerweise <60 cm H20 (Männer) und <30 cm H2O (Frauen). Die Analyse der Detrusordrücke und Flussrate erlaubt Rückschlüsse auf den urethralen Widerstand (subvesikale Obstruktion), siehe folgende Abschnitte.
Subvesikale Obstruktion beim Mann:
Eine Methode der Bestimmung einer subvesikalen Obstruktion ist die Berechnung des BOOI (bladder outlet obstruction index) nach der International Continence Society (ICS) (Formel 1.16):
BOOI = Pdet bei Qmax – 2 × Qmax | (1.16) |
Ein BOOI über 40 ist eindeutig als obstruktiv zu bezeichnen, zwischen 20 und 40 ist er nicht eindeutig, ein BOOI unter 20 ist nicht mit einer subvesikalen Obstruktion einhergehend (Griffiths u.a., 1997). Der BOOI kann auch graphisch dargestellt werden [Abb. ICS Nomogramm].
Subvesikale Obstruktion bei Frauen:
Es gibt keine allgemein anerkannte Definition für eine subvesikale Obstruktion bei Frauen, diese ist auch sehr selten. Ein deutlicher Hinweis auf eine Obstruktion sind Detrusordrücke >20–30 cm H2O zum Zeitpunkt des maximalen Harnflusses, der unter 11–15 ml/s liegt (Lemack u.a., 2000a).
Beurteilung der Detrusorkraft:
Aus dem Verhältnis zwischen Detrusordruck bei maximaler Harnflussrate kann auch eine Aussage über die Kontraktionskraft des Detrusormuskels getroffen werden (bladder contractibility index, BCI), siehe folgende Formel:
BCI = Pdet bei Qmax + 5×Qmax | (1.17) |
Eine starke Harnblasenkontraktibilität (BCI) besteht bei Werten über 150, zwischen 100–150 wird die Kontraktionskraft als normal eingeschätzt und bei Werten unter 100 als schwach (Abrams, 1999). Der BCI kann auch graphisch dargestellt werden [Abb. Nomogramm Harnblasenkontraktibilität].
Detrusorschwäche:
In der Zystometrie zeigt sich eine Detrusorschwäche (hypokontraktiler oder akontraktiler Detrusor) durch einen fehlenden Anstieg des Detrusordrucks während der Miktion, der Entleerungsdruck wird mit der Bauchpresse aufgebaut. Oft ist eine Miktion unter Untersuchungsbedingungen nicht möglich. Eine Detrusorschwäche kann auch durch den isovolumetrischen Druck ermittelt werden. Während der Miktion wird der Harnstrahl unterbrochen (willkürlich), der Anstieg des Harnblasendrucks wird erfasst. Der normale isovolumetrische Druck beträgt ungefähr 50–100 cm H20. Je geringer der isovolumetrische Druck der Harnblase ist, desto höher ist z. B. die Wahrscheinlichkeit eines Harnverhaltes nach einer Inkontinenz-OP. Aus dem Verhältnis zwischen Detrusordruck bei maximaler Harnflussrate kann auch eine Aussage über die Kontraktionskraft des Detrusormuskels getroffen werden, siehe oben.
Differentialdiagnose der schwachen Detrusorkontraktion: sensible oder distale motorische Harnblasenlähmung, bewusste Inhibition der Miktion, Überdehnung der Harnblase, Harnblasendivertikel.
Eine Unterscheidung zwischen myogener oder neurogener Detrusorschwäche gelingt durch einen pharmakologischen Test: nach submaximaler Füllung der Harnblase wird entweder 0,25 mg Carbachol s. c. oder Bethanechol 0.035 mg/kg s. c. injiziert. Ein Anstieg des Harnblasendrucks >20 cm H2O spricht für eine Denervation.
Urodynamik nach ,,Augenschein``
Die folgende Technik ermöglicht eine schnelle Einschätzung der Harnblasenkapazität und der Sensibilität, weiterhin können autonome Harnblasenkontraktionen ausgeschlossen werden.
Die Untersuchung findet in Steinschnittlage statt. Einlage eines durchsichtigen Harnblasenkatheters nach Miktion und Bestimmung der Restharnmenge. Danach wird eine Harnblasenspritze ohne Stempel konnektiert, und der Katheter über das Harnblasenniveau gehoben. Nun kann über die Harnblasenspritze als Trichter die Harnblase langsam gefüllt werden.
Zuverlässig kann die Sensibilität ermittelt werden, weiterhin kann der Druck in der Harnblase über die Wassersäule abgeschätzt werden. Bei Anstieg des Harnblasendrucks über 10 cm H2O wird die Füllung verlangsamt, bei Anhalt für intravesikale Druckspitzen muss durch Befragung und Inspektion eine Bauchpresse ausgeschlossen werden. Nach Bestimmung der Harnblasenkapazität wird der Katheter entfernt und die Miktion durch Inspektion evaluiert. Bei der Verwendung von Kontrastmittel kann gleichzeitig ein Miktionszystogramm durchgeführt werden.
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Literatur Urodynamik
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