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Altershypogonadismus: Therapie des Testosteronmangel des älteren Mannes
Definitionen des Altershypogonadismus
Der Altershypogonadismus, engl. late-onset hypogonadism (LOH) oder symptomatic late-onset hypogonadism (SLOH), ist eine Erkrankung des älteren Mannes mit Symptomen des Testosteronmangels sowie potentiell schädlichen Auswirkungen auf zahlreiche Organsysteme und einer Testosteronserumkonzentration unterhalb des Referenzbereiches. EAU-Guidelines Male Hypogonadism.
Veraltete aber gleichbedeutende Begriffe sind: partielles Androgendefizit des alten Mannes (PADAM), engl. androgen decline of the aging male (ADAM).
Epidemiologie und Pathophysiologie des Testosteronmangels im Alter
Hypothalamus-Hypophysen-Testosteron-Achse:
ab dem 40. Lebensjahr besteht ein physiologischer Abfall des Serumtestosterons um 1 % pro Jahr. Da das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) gleichzeitig ansteigt, sinkt das bioverfügbare Testosteron (freies und an Albumin gebundenes) noch stärker ab. Die Gegenregulation bewirkt eine Erhöhung des luteinisierenden Hormons (LH), die Rhythmik der LH-Freisetzung ist abgeflacht.
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse:
Abfall der androgenen Nebennierenmetaboliten Dehydroepiandrosteron (DHEA).
Metabolisches Syndrom:
Das Vollbild des metabolischen Syndroms besteht aus adomineller Fettleibigkeit, erhöhten Triglyceriden, vermindertem HDL-Cholesterin, erhöhter arterieller Blutdruck und vermehrter Insulinresistenz. Zahlreiche Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem metabolischen Syndrom und dem Hypogonadismus herausgefunden (Wespes, 2013):
- Die Fettleibigkeit und die Konzentration von Leptin sind starke Risikofaktoren für einen Hypogonadismus und umgekehrt.
- Kastration oder Antiandrogene erhöhen das Risiko für ein metabolisches Syndrom.
- Die Substitution von Testosteron bessert Parameter des metabolischen Syndroms.
- Es ist noch unklar, ob das metabolisches Syndrom den Hypogonadismus bedingt oder umgekehrt.
Epidemiologie:
Die Prävalenz von zu niedrigem Testosteron liegt bei 20% der Männer über 60, 30% über 70 und 50% über 80 Jahren. Die Prävalenzrate ist sogar noch höher, wenn auch das freie Testosteron berücksichtigt wird (Harman u.a., 2001). Der Hypogonadismus ist häufiger bei älteren Männern, bei Adipositas, bei Komorbidität und bei einem schlechten Allgemeinzustand (Wu u.a., 2008).
Klinik des Testosteronmangels
Die Symptome sind unspezifisch und der Zusammenhang mit (grenzwertig) erniedrigten Testosteronkonzentrationen ist nicht eindeutig:
- Sexualität: die verminderte Libido ist ein Frühsymptom, im weiteren Verlauf auch erektile Dysfunktion.
- Psychische Veränderungen: Frühsymptome sind Störungen von Antrieb und Motivation, später auch Depression und verminderte geistige Leistungsfähigkeit.
- Verminderter Haarwuchs und alternde Haut
- Osteoporose (verminderte Knochendichte)
- Zunehmende viszerale Fetteinlagerung mit metabolischem Syndrom
Diagnostik des Testosteronmangels
Basisdiagnostik:
Morgendliche Messung von Testosteron und FSH. Der unt ere Normwert für Testosteron beträgt 12 nmol/l (3 ng/ml).
Erweiterte Hormondiagnostik:
Bei auffälligen Werten wird die Messung von Testosteron und FSH wiederholt und zusätzlich SHBG, LH, FSH, TSH und Prolaktin bestimmt. Bei erniedrigten Hypophysenhormonen oder erhöhtem Prolaktin werden die anderen Hypophysenachsen getestet. Mit Hilfe des SHGB kann der freie Androgenindex (FAI) oder das freie Testosteron errechnet werden. Dies hilft bei der Beurteilung von grenzwertig niedrigen Testosteronwerten.
Freier Androgenindex (FAI):
Da die SHBG-Konzentration entscheidend das biologisch-aktive Testosteron beeinflusst, kann mit der kombinierten Bestimmung von SHBG und Gesamttestosteron [siehe Formel freier Androgenindex] eine Aussage bezüglich des bioaktiven Testosterons getroffen werden:
FAI = ( Testosteron (nmol/l) × 100 ) \ SHBG (nmol/l)
Der Normwert des freien Androgenindex (FAI) für Männer liegt altersabhängig zwischen 30ndash;150. Werte unter 30 sprechen für einen relativen Testosteronmangel. Der freie Androgenindex gilt als weniger zuverlässig als die rechnerische Bestimmung des freien Testosterons.
Freies Testosteron:
1&nash;3% des Testosterons im Blut liegt ungebunden vor, mehr als 97% ist an Bindeproteine wie SHBG und Albumin gebunden. Nach der Formel von Vermeulen kann mit der Konzentration von Testosteron, SHBG und Albumin das freie Testosteron berechnet werden, der Normwert liegt über 0,25 nmol/l. Die Berechnung des freien Testosterons gilt als aussagekräftiger als der FAI (Vermeulen u.a., 1999).
Diagnostik des metabolischen Syndroms:
Messung von Körpergewicht, Bauchumfang und Blutdruck. Bestimmung der Blutfette, Leberwerte und Blutzucker, ggf. Glukosetoleranztest.
Therapieüberwachung bei Testosteronsubstitution:
Rektale Untersuchung, (freies) Testosteron, PSA, Blutbild, Blutfette und Leberwerte im ersten Jahr mindestens halbjährlich, dann jährlich.
Therapie des Testosteronmangels
Modifikation des Lebenswandel:
Viele Männer mit Hypogonadismus haben ein metabolisches Syndrom. Gewichtreduktion, Optimierung der Ernährung, vermehrte körperliche Aktivität und konsequente Therapie des Diabetes mellitus alleine kann eine Besserung des Hypogonadismus erreichen und ist wichtiger als die Substitution des Testosterons alleine (Camacho u.a., 2013). Weitere wichtige Ansatzpunkte sind die Vermeidung von Alkohol und die suffiziente Behandlung von Begleiterkrankungen.
Testosteronsubstitution:
Die Testosteronsubstitution ist indiziert bei mehrfach nachgewiesenem Testosteronmangel und klinischen Beschwerden (sexuelle Dysfunktion, verminderte Knochendichte, therapierefraktäres metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus Typ 2). Viele Männer mit Hypogonadismus haben ein metabolisches Syndrom, schon alleine die Modifikation des Lebenswandel (siehe oben) kann eine Besserung des Hypogonadismus erreichen und ist wichtiger als die Substitution des Testosterons alleine. Die Testosteronsubstitution ist jedoch eine gute Option in therapierefraktären Fällen zur Unterstützung der Lebensstilmodifikation (Grossmann u.a., 2017).
Kontraindikationen zur Testosteron-Substitutionstherapie:
Kontraindikationen zur Testosteron-Substitutionstherapie sind das Prostatakarzinom, das virile Mammakarzinom, schwere Herzinsuffizienz, ein Hämatokrit über 0,54, die obstruktive Schlafapnoe und ein vorhandener Kinderwunsch. Die Langzeitkomplikationen der Testosteronsubstitution bei Altershypogonadismus sind in der Häufigkeit und Schwere ungesichert, es fehlen vergleichende randomisierte Studien.
Intramuskuläre Depotpräparate:
Testosteronundecanoat ermöglicht eine sichere und langfristige Testosteronsubstitution. Die Nebenwirkungen durch Schwankungen der Testosteronkonzentration sind gegenüber älteren Präparaten wie z.B. Testosteroncypionat und Testosteronenanthat reduziert. Dosierung: Testosteronundecanoat 1000 mg i.m., erster Injektionsabstand sechs Wochen, dann etwa alle 10–14 Wochen, je nach Testosteronkonzentration und Beschwerden/Wohlbefinden.
Orale Testosteronpräparate:
Testosteronundecanoat in 2--3 Einzeldosen, die kurze Halbwertszeit ist nachteilig. Es gibt erhebliche pharmakokinetische Unterschiede bei den verfügbaren Präparaten (Andriol, Jatenzo). Ältere orale Testosteronpräparate sind lebertoxisch und damit obsolet.
Transdermale Testosteronpräparate:
Am häufigsten werden Testosterongels verordnet, gelegentlich auch Pflaster. Die morgendliche transdermale Applikation simuliert gut die physiologischen Testosteronschwankungen. Die Dosierung und Empfehlungen für die Dosisanpassung sind zwischen den verfügbaren Präparaten unterschiedlich.
Nebenwirkungen:
Suppression der LH und FSH-Produktion mit Unfruchtbarkeit, Brustspannen oder Brustvergrößerung, Erythrozytose, Exazerbation eines okkulten Prostatakarzinoms. Die Daten zur kardiovaskulären Sicherheit sind unklar, zum einen sind kardiovaskuläre Komplikationen durch die Testosterontherapie denkbar (Progress der Arteriosklerose, Thrombose, Dekompensation einer Herzinsuffizienz), zum anderen senkt die Hormontherapie manche kardiovaskulären Risikofaktoren. Aktuelle randomisierte Studien mit zwei Jahre Nachbeobachtung konnten kein erhöhtes Risiko nachweisen (Lincoff u.a., 2023).
Therapieüberwachung bei Testosteronsubstitution:
Das Ziel der Substitutionstherapie wird in Abhängigkeit der Symptome unterschiedlich schnell erreicht. Eine Verbesserung der Libido kann in wenigen Wochen erwartet werden. Eine Verbesserung der erektilen Dysfunktion, Ejakulation oder Vitalität dauert bis zu 6 Monate. Eine Verbesserung der Knochendichte wird erst nach sechs Monaten messbar und wird bis zu drei Jahren nach Therapiebeginn ansteigen.
Überwachung von möglichen Komplikationen:
Tastuntersuchung der Prostata und männlichen Brust, PSA, Blutbild (Hämatokrit), Blutfette und Leberwerte im ersten Jahr halbjährlich in den ersten zwei Jahren, dann jährlich.
Weitere Androgensubstitution:
Für eine DHEA- oder Östrogensubstitution gibt es keine ausreichende Datenlage.
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Sachregistersuche: A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
Literatur
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English Version: Testosterone deficiency or late-onset hypogonadism