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Anamnese: Symptome und Beschwerden in der Urologie
Anamnese der aktuellen Beschwerden
Das ärztliche Gespräch beginnt häufig mit der Frage nach aktuellen Symptomen oder Problemen, welche den Arztbesuch veranlasst haben. Mit gezielten Fragen werden die genannten Beschwerden hinsichtlich der Lokalisation, des zeitlichen Auftretens, des Schweregrads und bekannter Auslöser konkretisiert.
Wenn immer möglich, sollten die Beschwerden quantifiziert werden: z. B. visuelle Analogskala bei Schmerzen, IPSS bei Miktionsbeschwerden oder IIEF bei erektiler Dysfunktion.
Die Kenntnis der verschiedenen Ursachen von Leitsymptomen ist die Basis, zielgerichtet die weiterführenden Untersuchungen zu veranlassen und zügig die richtige Diagnose zu finden. Die Diagnose bleibt aufgrund einer Irrtumswahrscheinlichkeit eine Differentialdiagnose, ist jedoch die Basis für die Einleitung einer Therapie. Im weiteren Verlauf muss die Diagnose solange hinterfragt werden, wie der Heilungsverlauf andauert.
Schmerzen in der Urologie
Vom Urogenitaltrakt ausgehende Schmerzen können sehr heftig sein und werden meist durch plötzliche Harnabflussstörungen oder Entzündungen ausgelöst. Allmählich entstehende Harnabflussstörungen ohne Entzündung verursachen oft keine Schmerzen.
Nierenschmerzen:
Nierenschmerzen entstehen durch die akute Dehnung der Nierenkapsel und werden im costovertebralen Winkel lateral des M. erector spinae wahrgenommen. Ein kontinuierlicher Schmerz spricht für eine Infektion, ein wellenförmiger Schmerzverlauf (Kolik) für eine (variable) Obstruktion des Harnflusses (z.B. durch Nierensteine oder Harnleitersteine).
Nierenschmerzen können aufgrund autonomer Reflexe mit gastrointestinalen Symptomen einhergehen und die Diagnose erschweren. Weiterhin können andere Bauchorgane Schmerzen im costovertebralen Winkel auslösen. Klinische Hinweise für Erkrankungen der Bauchhöhle sind Abwehrspannung, Schulterschmerzen und Patienten, welche jegliche Art der Bewegung meiden, um eine Schmerzverschlimmerung zu verhindern. Siehe auch Differentialdiagnose von akuten Bauchschmerzen.
Nierenschmerzen können mit Irritationen der Wirbelsäule oder der kostalen Nerven verwechselt werden. Typisch für die akute Lumbago sind bewegungsabhängige Schmerzen und das Fehlen von Koliken.
Harnleiterschmerzen:
Harnleiterschmerzen werden durch eine plötzliche Verlegung des Harnleiterlumens ausgelöst und sind von wellenförmigem Charakter (Koliken). Die Schmerzen werden durch die Dehnung und Hyperperistaltik des Ureters ausgelöst. Eine Obstruktion des proximalen Harnleiters wird wie Nierenschmerzen empfunden (s. o.). Schmerzen ausgelöst durch den mittleren Harnleiter projizieren in den Unterbauch und in das Skrotum/Schamlippen. Die Verlegung des distalen Harnleiters erzeugt zusätzlich Pollakisurie und Dysurie.
Harnblasenschmerzen:
Harnblasenschmerzen werden durch eine Harnverhaltung (konstanter Schmerz) oder Entzündung der Harnblase (Schmerzen im Zusammenhang mit der Miktion) verursacht. Die Schmerzen werden suprapubisch im Unterbauch lokalisiert und strahlen in den Penis aus. Ein konstanter suprapubischer Schmerz mit normaler schmerzloser Miktion spricht gegen eine urologische Erkrankung.
Prostataschmerzen:
Prostataschmerzen werden durch eine Dehnung der Prostatakapsel ausgelöst, können jedoch schlecht lokalisiert werden. Der Patient berichtet über perineale Schmerzen, Unterbauchschmerzen oder Enddarmbeschwerden. Weiterhin können Dysurie, Pollakisurie oder Harnverhaltung bestehen. Die häufigste Ursache für Prostataschmerzen ist eine Infektion der Prostata.
Hodenschmerzen:
Akute Hodenschmerzen werden durch Trauma, Infektion oder Torsion ausgelöst. Neben der direkten skrotalen Lokalisation wird der Schmerz auch in den Unterbauch projiziert. Chronische Hodenschmerzen haben ihre Ursache in nichtentzündlichen Erkrankungen wie Hydrozele, Varikozele, Spermatozele oder Tumoren.
Die embryonale Herkunft der Hoden aus dem Retroperitoneum erklärt die Schmerzausstrahlung in das Skrotum bei Harnleiterschmerzen.
Penisschmerzen:
Schmerzen des erschlafften Penis werden durch Trauma, Paraphimose, Harnröhrenschmerzen oder Projektion von Harnblasenschmerzen verursacht. Schmerzen des errigierten Penis entstehen durch die Induratio penis plastica oder den Priapismus.
Miktionsstörungen
Das englische Akronym LUTS steht für lower urinary tract symptoms und ist ein Sammelbegriff für irritative oder obstruktive Miktionsbeschwerden gleich welcher Ursache. Miktionsstörungen werden subjektiv sehr unterschiedlich wahrgenommen. Mit Hilfe eines Miktionstagebuchs können die Beschwerden bezüglich Zeit und Intensität dokumentiert werden und helfen bei der Beurteilung des Krankheitsbilds. Im Prinzip wird tabellarisch für jede Tagestunde die Trinkmenge und Urinmenge dokumentiert, die Volumina werden am besten mit einem Messbecher abgemessen und nicht nur geschätzt. Weiterhin werden Beschwerden wie Inkontinenz, Drang oder Schmerzen ebenfalls für die entsprechende Tagesstunde notiert.
Irritative Symptome:
Irritative Symptome sind Pollakisurie (häufiges Wasserlassen), Drangbeschwerden, Dysurie (schmerzhaftes Wasserlassen) und Nykturie (nächtliches Wasserlassen).
Pollakisurie:
Pollakisurie ist häufiges Wasserlassen bei insgesamt normaler Urinproduktion. Die Pollakisurie wird von der Polyurie (Urinmenge über 3 l/Tag) unterschieden. Eine normale Frequenz der Harnblasenentleerung bei Erwachsenen gilt weniger als 8 Miktionen pro Tag.
Drangbeschwerden:
Unter Imperativem Harndrang (engl. Urge) versteht man das plötzliche Auftreten eines starken Harndrangs, der nur schwer zu kontrollieren ist. Die maximale Ausprägung ist die Dranginkontinenz.
Dysurie:
Dysurie ist schmerzhaftes Wasserlassen, oft als Brennen oder Stechen beschrieben. Die Schmerzen können in die Harnröhre oder Penis ausstrahlen. Schmerzen zu Beginn der Miktion spricht für eine urethrale Pathologie, die Dysurie am Ende der Miktion für eine Erkrankung der Harnblase. Auslöser der Dysurie sind häufig Infektionen von Harnblase, Harnröhre oder Prostata.
Differentialdiagnose der Pollakisurie, Drangbeschwerden oder Dysurie:
- Infektionen: Zystitis, Prostatitis, Urethritis.
- Anatomisch verminderten Harnblasenkapazität sind: radiogene Zystitis, interstitielle Zystitis, nach Harnblasenoperationen, fortgeschrittenes Harnblasenkarzinom oder Prostatakarzinom, Kompression der Harnblase durch Unterbauchtumoren oder Schwangerschaft.
- Funktionell verminderte Harnblasenkapazität: Restharn durch subvesikale Obstruktion oder neurogene Harnblasenstörungen, überaktive Harnblase, Detrusorhyperreflexie, Harnblasensteine, distaler Ureterstein, Fremdkörper in der Harnblase, vaginaler Östrogenmangel.
- Subvesikale Obstruktion: BPH, Prostatitis, Prostatakarzinom, Harnröhrenstriktur, Beckenbodeninsuffizienz, Fremdkörper in der Harnröhre.
- Medikamente: Diuretika, Beta-Blocker, Theophyllin oder Koffein.
- Psychische Ursachen wie Stress, Nervosität, Angsterkrankungen oder nach sexueller Gewalt.
Nykturie:
Zusätzlich zu den Ursachen der Pollakisurie (s. o.) führt eine isolierte nächtliche Polyurie (>50 % der Tagesmenge) zu einer Nykturie.
Obstruktive Symptome:
Schwacher Harnstrahl, verzögerter Miktionsbeginn, Pressen bei der Miktion, unterbrochener Harnstrahl, Nachträufeln, Restharngefühl, Harnverhalt.
Die häufigste Ursache für obstruktive Miktionsbeschwerden ist die benigne Prostatahyperplasie. Die Beschwerden sollten mit Hilfe des IPSS-Fragebogen quantifiziert werden. Die diagnostische Herausforderung besteht in der Erkennung von seltenen Ursachen wie einer Harnröhrenstriktur oder neurologischen Erkrankungen als Ursache der Miktionsbeschwerden [Tab. Ursachen eines Harnverhaltes].
Diagnostik:
Jeder Patient mit LUTS sollte folgende Basisuntersuchungen erhalten:
- Körperliche Untersuchung mit digital-rektaler Tastuntersuchung.
- Miktionstagebuch: hilft bei der Unterscheidung zwischen Polyurie oder reduzierter Harnblasenkapazität.
- Sonographie der Harnblase und Nieren: Restharn? Krankheiten der Harnblase? Prostatagröße? Harnstau?
- Urinsediment
In unklaren oder komplizierten Fällen können folgende Untersuchungen hilfreich sein:
- Symptom Score (IPSS)
- Kreatinin im Serum: bei Harnstau.
- PSA: bei auffälliger DRU oder gewünschtem Prostatakarzinomscreening.
- Harnstrahlmessung: bei anamnestischen Schwierigkeiten bezüglich der Harnstrahlstärke.
- Zystoskopie: bei Hämaturie, sehr schwachem Harnstrahl, bei fehlendem medikamentösen Therapieerfolg, vor operativer Therapie.
- Urodynamik: bei neurologischen Erkrankungen, unklare Situationen vor geplanten Operationen.
- Internistische Mitbetreuung: bei nächtlicher Polyurie und gleichzeitiger kardiopulmonaler Erkrankung.
Harninkontinenz
Durch sorgfältige Anamnese und Miktionstagebuch kann die Ursache der Harninkontinenz eingegrenzt werden.
Hämaturie
Die Mikrohämaturie ist durch mindestens 5 Erythrozyten pro Gesichtsfeld bei 400facher Vergrößerung des Urins im Mikroskop definiert. Bei sichtbarem Blut im Urin spricht man von (Makro-)Hämaturie.
Durch gezielte Befragung des Patienten und Beurteilung des Urinsediments kann die Ursache der Hämaturie eingegrenzt werden und eine rationale weiterführende bildgebende und endoskopische Diagnostik veranlasst werden [siehe Ursachen der Hämaturie].
Pneumaturie
Die Ausscheidung von Gasen mit dem Urin ist fast immer ein Zeichen für eine Harnblasen-Darmfistel, ausgelöst durch eine Sigmadivertikulitis, Kolonkarzinom, Morbus Crohn oder nach Bestrahlung. Selten können gasproduzierende Bakterien im Rahmen einer Harnwegsinfektion eine Pneumaturie auslösen. Anamnestisch abgrenzt werden muss die (einmalige) Pneumaturie nach Zystoskopie oder Katheterisierung.
Hämatospermie
Blut im Sperma (Hämatospermie) ist in der Mehrzahl der Fälle auf harmlose Ursachen zurückzuführen [siehe Abschnitt Hämatospermie: Blut im Sperma].
Ausfluss aus der Harnröhre
Eitriger Ausfluss spricht für eine Gonorrhoe, glasiger Ausfluss für eine nichtgonorrhoische Urethritis. Blutiger Ausfluss entsteht durch autoerotische Handlungen oder kann ein Zeichen für ein Harnröhrenkarzinom sein.
Störungen des Sexualität
Patienten sollten aktiv nach Störungen der Sexualität befragt werden. Die allgemeine Anamnese erfasst Risikofaktoren für Ursachen einer sexuellen Dysfunktion: internistische Erkrankungen, neurologische Erkrankungen, psychische Erkrankungen, Operationen, Medikamente (Antihypertensiva, Sedativa, Antiandrogene, ...), Alkohol, Rauchen oder Drogen.
Libidostörungen:
mit vermindertem Ejakulatvolumen sind ein Hinweis auf eine Hormonstörung (Hypogonadismus, M. Cushing, Hyperprolaktinämie). Libidostörungen mit einem normalen Ejakulatvolumen können durch eine Depression oder internistische Erkrankungen ausgelöst werden.
Erektionsstörungen:
neben einer genauen Sexualanamnese (Dauer, Grad der Erektion, Veränderungen, Partnerwechsel, Leidensdruck, Libido, nächtliche Erektionen, ...) sollte das Ausmaß der erektilen Dysfunktion mit Hilfe des IIEF-Fragebogen quantifiziert werden.
Ejakulationsstörungen:
Die Sexualanamnese muss zwischen der Ejaculatio praecox, der retrograden Ejakulation, der fehlenden Ejakulation oder Orgasmusstörungen differenzieren. Risikofaktoren für eine retrograde Ejakulation sind Prostataoperationen (TURP), Alphablocker oder retroperitoneale Operationen.
Anamnese der früheren und bekannten Erkrankungen
Eigenanamnese
Abgeschlossene oder bekannte medizinische Erkrankungen sind von hohem Interesse für die Beurteilung des aktuellen Krankheitsbilds. Die Angaben des Patienten sollten mit Fragen nach den wichtigen Leitsymptomen aller Organsysteme ergänzt oder unterstützt werden [Tab. wichtige Leitsymptome].
Fragen nach Leitsymptomen | |
Allgemein | Appetit? Durst? Schlafstörungen? Nachtschweiß? Körpergewicht? Fieber? Anfallsleiden? |
Kopf und Hals | Sehvermögen? Kopfschmerzen? Schwindel? Halsschmerzen? Lymphknoten? |
Thorax | Husten? Auswurf? Atemnot? Herzschmerzen? Unregelmäßiger Puls? Knoten in der Brust? |
Abdomen | Durchfall? Verstopfung? Blut im Stuhl? Erbrechen? Bauchschmerzen? |
Urogenitaltrakt | Miktionsbeschwerden? Harninkontinenz? Urinfarbe? Sexuelle Beschwerden? Schmerzen oder Knoten? |
Bewegungs- apparat |
Muskel- oder Gelenkschmerzen? Lähmungen? |
Fremdanamnese:
die Information von Kollegen (Arztbrief) und Angehörigen ergänzen und bestätigen die Eigenanamnese.
Medikamentenanamnese
Die genaue Erfassung der Medikamenteneinnahme liefert wertvolle Hinweise auf bekannte Erkrankungen. Weiterhin sind Nebenwirkungen von Medikamenten häufig die Ursache für Miktionsbeschwerden oder Störungen der Sexualität. Wichtig ist auch die Erfassung von bekannten Unverträglichkeiten oder Allergien.
Operationen
Bisher durchgeführte Operationen und deren Verlauf sollten mit Jahreszahl erfasst werden. Bei geplanten Operationen in voroperierten Regionen ist ein Operationsbericht der vorangegangenen Operation hilfreich.
Genussmittel
Die Erfassung des Alkohol- und Tabakkonsums ermöglicht die Einschätzung zahlreicher klinischer Risiken.
Risiken im Zusammenhang mit Rauchen:
Urothelkarzinom, Nierenzellkarzinom, Peniskarzinom, erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (erektile Dysfunktion, Nierenarterienembolie), erhöhte perioperative Komplikationen (Wundheilungsstörungen, Anastomoseninsuffizienz, pulmonale Komplikationen).
Risiken im Zusammenhang mit erhöhtem Alkoholkonsum:
Hypogonadismus, periphere Neuropathie mit Störungen der Sexualität oder der Miktion, Gynäkomastie, erhöhte perioperative Komplikationen (Leberfunktionsstörungen, Alkoholentzugssyndrom, Wundheilungsstörungen).
Familienanamnese
Durch gezielte Fragen werden die häufigsten vererbbaren oder familiär gehäuften Erkrankungen im urologischen Fachgebiet ermittelt:
- Tumorerkrankungen (Prostatakrebs, Nierenkrebs, Nebennierenkrebs)
- Harnsteine
- Niereninsuffizienz und ihre Ursache
Sozialanamnese
Berufsanamnese:
Das Urothelkarzinom ist eine anerkannte Berufserkrankung bei entsprechender zeitlicher Giftexposition (Chemieindustrie, Gummiverarbeitung, Stahlindustrie, Automechaniker, Lederindustrie, Zahntechniker). Das Nierenzellkarzinom kann durch das Lösungsmittel Trichlorethylen ausgelöst werden.
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