Dr. med. Dirk Manski

 Sie sind hier: Startseite > Krankheiten mit urologischer Manifestation > Hippel-Lindau-Syndrom

Von-Hippel-Lindau-Syndrom: Ursachen, Diagnose und Therapie

Definition des Hippel-Lindau-Syndroms

Das von-Hippel-Lindau-Syndrom ist ein autosomal dominant vererbtes Neoplasiesyndrom (Phakomatose s. u.) durch eine Keimzellmutation des VHL Tumorsuppressorgens. Es entstehen benigne und maligne Tumoren des ZNS, der Nieren, Nebennieren, der Bauchspeicheldrüse und anderer Organe.

Phakomatose:

Sammelbegriff für klinische Syndrome mit ektodermalen Tumoren und Fehlbildungen: tuberöse Sklerose, von-Hippel-Lindau-Syndrom, Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom, Morbus Recklinghausen.

Häufigkeit (Epidemiologie)

1:35000.

>Ursachen (Ätiologie) des Hippel-Lindau-Syndroms

Genetik:

Autosomal dominante Vererbung, VHL Genmutationen auf Chromosom 3, je nach Typ der Mutation entstehen unterschiedliche Manifestationen in den unten aufgeführten Organen. 100 % Penetranz.

VHL-Protein:

Das VHL-Protein ist ein Tumorsuppressorprotein. Mutationen von VHL führen zum Ausfall der Tumorsuppressorfunktion, entweder durch fehlende Inaktivierung von HIF oder durch die Fehlfunktion von VHL selbst. In der Folge werden chronisch vermehrt Wachstumsfaktoren exprimiert wie VEGF, PDGF oder TGF-α.

Pathologie und Symptome des Hippel-Lindau-Syndroms

Nieren:

Meist bilaterale und multifokale Nierenzysten, aus der Epithelauskleidung entsteht das Nierenzellkarzinom. Bis zu 70% der Genträger entwickeln bis zum Alter von 60 Jahren ein Nierenzellkarzinom. Am Anfang asymptomatische Erkrankung, später entwickeln die Patienten Flankenschmerzen, Hämaturie und tastbare Tumoren.

Nebenhoden:

Papilläre Zystadenome des Nebenhodens (25–60 %) sind benigne, meist asymptomatisch und fallen durch eine skrotale Raumforderung auf. Bei bilateralem Befall kann auch die Fruchtbarkeit eingeschränkt sein.

Nebennieren:

Phäochromozytom adrenal oder extraadrenal (10–20 %), in 5 % maligne. Erkrankungsbeginn im Mittel 30 Jahre. Klinisch treten anfallsartig arterielle Hypertonie, Herzklopfen, Kopfschmerzen, Schweißausbruch, Blässe und Übelkeit auf.

Adnexen:

Analog zum Nebenhoden entstehen aus embryonalen Resten Zystadenome, meist asymptomatisch.

ZNS:

Benigne Hämangioblastome des ZNS (v. a. Kleinhirn und Rückenmark) in 60–80 %. Erkrankungsbeginn im Mittel 33 Jahre. Die neurologischen Beschwerden hängen von der Lokalisation ab.

Augen:

Benigne retinale Hämangioblastome (bis 60 %) verursachen Sehschwächen und Blindheit durch Einblutungen und Netzhautablösungen. Erkrankungsbeginn durchschnittlich mit 25 Jahren.

Ohren:

Tumoren des endolymphatischen Sacks am Innenohr verursachen Innenohrschwerhörigkeit, Tinnitus und Schwindel (10 %).

Pankreas:

Zysten oder neuroendokrine Tumoren des Pankreas (8–17 %) verursachen nur selten Beschwerden.

Diagnose des Hippel-Lindau-Syndroms

Klinische Diagnose:

Bei positiver VHL-Familienanamnese ist für die klinische Diagnose erforderlich: Angiom der Retina, Hämangioblastom des Gehirns oder Rückenmarks, Phäochromozytom, multiple Zysten des Pankreas oder der Niere oder ein Nierenzellkarzinom vor dem 60. Lebensjahr.

Bei Patienten ohne VHL-Familienanamnese ist für die klinische Diagnose erforderlich: zwei oder mehr Hämangioblastome des ZNS, oder ein Hämangioblastom des ZNS mit einer viszeralen Manifestation wie Nieren- oder Pankreaszysten, Nierentumor oder Phäochromozytom.

Genetische Diagnostik:

Der Nachweis des VHL Gendefektes ist aufgrund verschiedener Mutationen komplex. Die genetische Diagnostik und Beratung ist indiziert bei klinischer Diagnose (siehe oben) und, nach vorheriger genetischer Beratung, bei Patienten mit positiver Familienanamnese.

Früherkennung und Nachsorgen:

Fundoskopien (jährlich), Sonographie und CT-Abdomen (jährlich), 24 h-Urin auf Katecholamine und Vanillinmandelsäure (jährlich), MRT des Rückenmarks und Kleinhirns (jährlich), MRT-Innenohr bei Beschwerden.

Therapie des Hippel-Lindau-Syndroms

Medikamentöse Therapie:

Belzutifan ist ein gut verträglicher Inhibitor des Hypoxie-induzierbaren Faktor-2α (HIF-2α). Belzutifan ist in den USA zur Therapie von VHL-assoziierten Tumoren zugelassen, die Ansprechrate (partielle oder komplette Remission) liegt bei 50% (Jonasch u.a., 2021). In Europa steht die Zulassung noch aus (Stand 10/24).

Urologische Therapie:

Nierentumoren:

Möglichst organerhaltende Resektion ab einer Tumorgröße von 3 cm [siehe Kapitel laparoskopische Nierenteilresektion oder offene Nierenteilresektion]. Tumoren unter 3 cm Größe werden engmaschig durch eine Bildgebung beobachtet, es besteht bis zu dieser Größe nur ein geringes Metastasierungsrisiko. In 75 % entsteht ein Rezidiv des Nierentumors, daher ist im Verlauf bei bis zu 25 % eine bilaterale Nephrektomie notwendig.

Phäochromozytom:

Beim Phäochromozytom werden zunächst die Alpha-Rezeptoren blockiert und der Hypertonus eingestellt, dann kann die tumortragende Nebenniere operativ entfernt werden.

Nebenhoden:

Konservative Therapie der benignen Zystadenome des Nebenhodens.

Neurochirurgische Therapie:

Bei Beschwerden werden die Hämangioblastome entfernt. Als Alternative können Hämangioblastome unter 3 cm und ohne Zysten stereotaktisch bestrahlt werden.

Ophthalmologische Therapie:

Laserkoagulation der Hämangioblastome. Bei Gefahr der Netzhautablösung kann eine Vitrektomie indiziert sein.

HNO-ärztliche Therapie:

Exzision von Endolymphsacktumoren bei Beschwerden.

Abdominalchirurgische Therapie:

Resektion von Pankreastumoren, je nach Größe ist eine Enukleation, Pankreasschwanzresektion, pyloruserhaltende Pankreatoduodenektomie nach Whipple oder eine komplette Pankreasresektion notwendig.

Prognose des Hippel-Lindau-Syndroms

Die Lebenserwartung lag in historischen Serien unter 50 Jahren, die häufigste Todesursache war das Nierenzellkarzinom.






 Sachregistersuche: A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z


Literatur

E. Jonasch et al., “Belzutifan for Renal Cell Carcinoma in von Hippel-Lindau Disease.,” NEJM, vol. 385, no. 22, pp. 2036–2046, 2021, doi: 10.1056/NEJMoa2103425.

Lonser u.a. 2003 LONSER, R. R. ; GLENN, G. M. ; WALTHER, M. ; CHEW, E. Y. ; LIBUTTI, S. K. ; LINEHAN, W. M. ; OLDFIELD, E. H.: von Hippel-Lindau disease.
In: Lancet
361 (2003), Nr. 9374, S. 2059–67