Dr. med. Dirk Manski

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Tuberkulose des Harntrakts: Epidemiologie, Ursachen und Pathologie


Definition der Urogenitaltuberkulose

Die Urogenitaltuberkulose ist eine meist chronische Infektion der Urogenitalorgane mit Mycobacterium tuberculosis.

Schwindsucht:

historischer Begriff für die fortgeschrittene Tuberkulose.

Epidemiologie der Tuberkulose des Urogenitaltraktes

Nach Schätzungen der WHO ist ein Drittel der Menschheit infiziert mit Mycobacterium tuberculosis (1,7 Milliarden Menschen), 8 Mio Neuerkrankungen pro Jahr, 3 Mio Menschen sterben pro Jahr an der Tuberkulose.

Deutschland:

Insgesamt zeigt die Verbreitung der Tuberkulose in Deutschland einen rückläufigen Trend. Im Jahr 2010 wurden 4330 Neuerkrankungen gemeldet (1999: 9800 Neuerkrankungen), Inzidenz 5/100000. Mortalität 0,2/100000, davon sind 2/3 über 65 Jahre alt. Männer:Frauen 2:1. Der Anteil der Urogenitaltuberkulose bei den Neuerkrankungen liegt bei 4 %. Die Prävalenz der renalen Tuberkulose in Sektionsstatistiken beträgt in Europa 0,6–0,9 %. Die Tuberkulose ist eine namentlich meldepflichtige Erkrankung.

Ätiologie der Tuberkulose des Urogenitaltraktes

Erreger der Tuberkulose:

Mycobacterium tuberculosis, 1–2 μm lange unbewegliche Stäbchen: säurefest, intrazelluläre Persistenz in Phagozyten, und eine Verdoppelungszeit von 1–2 Tagen.

Übertragung der Tuberkulose:

Tröpfcheninfektion der Lunge. Von den infizierten Patienten entwickeln 5–10 % innerhalb ihres Lebens eine aktive Tuberkulose, bei entsprechenden Risikofaktoren (s. u.) deutlich häufiger. 50 % der Krankheitsausbrüche entstehen innerhalb der ersten 2 Jahre.

In Entwicklungsländern spielt noch die primäre Infektion des Darmtraktes über infizierte Kuhmilch eine Rolle. Ganz selten kann eine Tuberkulose über die Haut übertragen werden (z.B. bei Autopsie, Geschlechtsverkehr).

Risikofaktoren für eine Tuberkulose:

Einwanderer, Alkoholismus, Alter, AIDS, Diabetes mellitus, Steroide, i. v. Drogenabusus, Rauchen, chronische Lungenerkrankungen (Silikose, COPD), Mangelernährung, maligne Erkrankungen, Magenresektion, Einwohner von Heimen oder Gefängnissen.

Pathophysiologie der Urogenitaltuberkulose

Intrazelluläre Persistenz der Tuberkulose-Bakterien:

M. tuberculosis ist ein typischer Vertreter des erfolgreichen intrazellulären Bakteriums. Die Erreger persistieren in Makrophagen. Mehrere Mechanismen schützen das Tuberkel-Bakterium vor der enzymatischen Verdauung in den Makrophagen: Unterdrückung von Sauerstoffradikalen, Unterdrückung der Phagosomansäuerung, wachshaltige Zellwand.

Primärkomplex der Tuberkulose:

initiale Vermehrung der Erreger im Lungengewebe und Lymphknoten, allmählich gewinnt das Immunsystem (v. a. der zelluläre Anteil) die Kontrolle und die Erreger werden in Granulomen isoliert. Je nach Immunlage folgt nun ein subklinischer oder klinischer Verlauf.

Krankheitsprogress der Tuberkulose:

im Rahmen von Bakteriämien können weitere Herde (minimal lesions) in der Lunge und anderen Organen entstehen, sie sind Ausgangspunkt für spätere Rezidive. Bei (passager) schlechter Immunlage kann ausgehend vom Primärkomplex oder von minimal lesions das klinische Krankheitsrezidiv entstehen.

Pathologie der Urogenitaltuberkulose

Makroskopie Urogenitaltrakt:

Minimal lesions der Tuberkulose:

entstehen hämatogen im Rahmen des Primärkomplexes oder der Sekundärmanifestation in der Niere oder anderen Urogenitalorganen. Aus dem verkäsenden Tuberkulom entsteht ein verkalkter Bezirk. Die Immunlage entscheidet über den weiteren Verlauf.

Manifestation der Tuberkulose an den Nieren:

Zunahme der zentralen Nekrose und Verkalkungen in der Niere. Die Nachbarschaft der verkäsenden Nekrose zum Hohlsystem lassen Kelchdeformitäten, Kelchkavernen [Abb. 2.13], Papillennekrosen, Kelchhalsstenosen und Harnleiterabgangsengen entstehen. Der Endzustand der Nierenmanifestation ist die Kittniere, welche fast nur noch aus verkäsender Nekrose besteht und keine Funktion mehr besitzt.

Tuberkulose und Harnleiter:

es entstehen Strikturen, welche rasch zu einer funktionslosen Hydronephrose führen.

Manifestation der Tuberkulose an der Harnblase:

die Tuberkulose der Harnblase entsteht immer sekundär aus Nierenherden. Zu Beginn Ödem und Schwellung des Ostiums, im Verlauf narbige Enge mit Ausbildung einer Hydronephrose. Später entwickeln sich bullös-ulzerierende Tuberkulose-Herde in der Harnblasenschleimhaut, welche narbig abheilen. Die narbige Schrumpfblase ist der Endzustand der Harnblasenmanifestation [Abb. tuberkulöse Schrumpfblase mit Ureterstrikturen] [Abb. CT-Abdomen bei Urogenitaltuberkulose].


Tuberkulöse Schrumpfblase mit Striktur der prävesikalen Ureteren beidseits. Kombinierte Untersuchung: retrograde Urethrographie nach einer Pyelographie bds. Mit freundlicher Genehmigung, Prof. Dr. R. Harzmann, Augsburg.
Abbildung tuberkulöse Schrumpfblase mit Ureterstrikturen

Befall der Samenwege durch die Tuberkulose:

initiale Tuberkulome im Nebenhoden entstehen über die Blutbahn, eine Nierenbeteiligung ist nicht obligat. Die Erregerausbreitung über die Samenwege in die Hoden und in die Prostata folgt. Tuberkulome des Nebenhodens können durch die Skrotalhaut ulzerieren.

Tuberkulose und Penis:

ist selten der Ort einer Primärinfektion nach GV mit infiziertem Geschlechtspartner mit genitaler oder oraler Manifestation. Die initiale Läsion ist ein derber Knoten oder Ulkus, von einem malignen Prozess nur mit einer Biopsie oder Erregerkultur zu unterscheiden. Die sekundäre Manifestation der Tuberkulose an der Penishaut ist selten und entspricht dem Lupus vulgaris. Die Folge ist eine destruierende Penisinfektion.

Histologie der Tuberkulose:

Je nach Immunlage entstehen unterschiedliche Granulome:

Schlechte Immunlage (anerg):

Käsige Nekrose ohne Reaktion des Immunsystems.

Normale Immunlage:

Käsige Nekrose umgeben von Makrophagen (Epitheloidzellen und Langhans-Riesenzellen).

Sehr gute Immunlage (hypererg):

Epitheloidzellen und Langhans-Riesenzellen ohne zentrale Nekrose.

Klinik der Tuberkulose des Harntrakts

Urogenitaltrakt:

klinisch stehen Miktionsstörungen, Flankenschmerzen, (Mikro-)Hämaturie, arterieller Hypertonus und Koliken im Vordergrund. Bei Nebenhodenbefall Schwellung, Schmerzen und Rötung. Weiterhin droht Infertilität. Die Manifestation der Tuberkulose am Penis ist eine Rarität und geht mit einem Ulkus (Primärinfektion) oder destruierender Entzündung (Lupus vulgaris) einher (s. o.). 20 % der Patienten mit Urogenitaltuberkulose haben keine Beschwerden.

Respirationstrakt:

Fieber, Husten, Nachtschweiß, Erythema nodosum, Pleurodynie, blutiges Sputum und käsige Pneumonie. Bei chronischem Verlauf: respiratorische Insuffizienz durch zunehmende Fibrose, Amyloidose und Kavernen-Karzinom. Miliar-Tuberkulose: hämatogene Generalisation bei schlechter Abwehrlage.

Bewegungsapparat:

Arthritis, Wirbelkörperbefall mit Gibbusentstehung, Psoas-Senkungsabszess mit spontaner Eröffnung über die Leiste, Osteomyelitis, Spina ventosa (Befall der Phalangen mit Auftreibung).

Weitere Organsysteme:

durch die hämatogene Streuung kann jedes Organ Manifestationsort einer Tuberkulose sein: Perikarditis, Meningitis, Gastrointestinaltrakt mit Ileus, ....






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Literatur Urogenital-Tuberkulose

Bergstermann und Häußlinger 2002 BERGSTERMANN, H. ; HäUßLINGER, K.: Tuberkulose.
In: Internist
43 (2002), S. 861–871

Lenk und Schroeder 2001 LENK, S. ; SCHROEDER, J.: Genitourinary tuberculosis.
In: Curr Opin Urol
11 (2001), Nr. 1, S. 93–8.

Petersen u.a. 1993 PETERSEN, L. ; MOMMSEN, S. ; PALLISGAARD, G.: Male genitourinary tuberculosis. Report of 12 cases and review of the literature.
In: Scand J Urol Nephrol
27 (1993), Nr. 3, S. 425–8. -

Wise und Marella 2003 WISE, G. J. ; MARELLA, V. K.: Genitourinary manifestations of tuberculosis.
In: Urol Clin North Am
30 (2003), Nr. 1, S. 111–21. -




 

  English Version: urogenital tuberculosis.