Dr. med. Dirk Manski

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Harnwegsinfektion: Ursachen, Bakterien und Risikofaktoren


Ätiologie und Pathogenese von Harnwegsinfektionen

Mechanismen der Keimbesiedelung:

Unterschieden werden aszendierende, hämatogene, lymphogene Infektionen und die Invasion von Erregern aus Nachbarorganen.

Aszendierende Infektion:

Aszendierende Infektionen sind die häufigste Ursache der Harnwegsinfektionen. Da die weibliche Urethra kurz ist und Darmbakterien das Perineum und die Vulva besiedeln, neigen Frauen deutlich häufiger als Männer zu Harnwegsinfektionen.

Hämatogene Infektion:

Hämatogene Harnwegsinfektionen sind seltener eine Ursache, wie bei Tuberkulose, renale und perinephritische Abszesse und teilweise bei der Epididymitis.

Lymphogene Infektion:

Lymphogen verursachte Harnwegsinfektionen sind selten und ungesichert. Es gibt Spekulationen über die lymphogene Ausbreitung von rektalen Bakterien zu Prostata, Blase und inneren weiblichen Geschlechtsorganen.

Direkte Ausbreitung von Nachbarorganen:

Durch intraperitoneale Abszesse, Abszesse nach PID, bei Fistelung (M. Crohn, Sigmadivertikulitis, Karzinome).

Bakterien (Erregerspektrum) bei Harnwegsinfektionen:

Die häufigsten Erreger unkomplizierter Harnwegsinfektionen sind mit 80% E. coli, gefolgt von Proteus mirabilis, Staphylococcus saprophyticus und Klebsiella pneumoniae [Tab. Erregerspektrum der akuten Zystitis].

Erregerspektrum (Bakterien) der akuten unkomplizierten Zystitis bei Frauen in Deutschland, modifiziert nach der S3-Leitlinie für Harnwegsinfektionen.
Erreger %
Gramnegative Bakterien:
Escherichia coli 77
Proteus mirabilis 5
Klebsiella pneumoniae 2–3
Enterobacter spp. 1
Citrobacter spp. < 1
Andere Enterobacteriaceae 2
Grampositive Bakterien
Staphylococcus saprophyticus 3
Staphylococcus aureus 2
Andere Staphylokokken 4
Enterococcus spp. 3
Streptococcus spp. < 1

Weitere Erreger:

Bakterielle Virulenzfaktoren bei Harnwegsinfektionen:

Die meisten Harnwegsinfektionen werden durch E. coli verursacht (80 % der ambulanten Patienten). Uropathogene E. coli (UPEC) adhärieren vermehrt am Urothel und vaginalen Epithel. Diese vermehrte Adhärenz wird durch Fimbrien oder Pili vermittelt. Die Einteilung berücksichtigt die Fähigkeit, animalische Erythrozyten zu agglutinieren und die Zucker, welche diese Agglutinierung inhibieren.

Typ 1 Pili:

Mannose-sensitive Hämagglutination = MSHA. Diese Bakterien können an spezifischen Zuckersequenzen des Epithels haften.

Typ 2 Pili:

Mannose-resistente Hämagglutination = MRHA. Diese Bakterien können an Glykolipidrezeptoren der Epithelien haften. Ein spezieller Glykolipidrezeptor ist das P-Blutgruppenantigen, Pili mit Affinität zu diesem Rezeptor werden P-Pili oder -Fimbrien genannt.

Biofilm:

An Oberflächen gebundene Bakterien ändern ihr biochemisches Programm durch eine komplexe Änderung der intra- und interzellulären Signaltransduktion. Dies führt zur Bildung von Bakterienkolonien, die durch eine selbst erzeugte extrazelluläre Polymermatrix, den Biofilm, geschützt werden. Bakterien in Biofilmkolonien sind resistenter gegen Antibiotika, mehrere Mechanismen wurden identifiziert: 1) eingeschränkte Diffusion von Antibiotika durch die Matrix; 2) die Übertragung von Resistenzgenen innerhalb der Gemeinschaft; 3) physiologische Veränderungen (reduzierte Stoffwechsel- und Wachstumsraten) und 4) das Vorhandensein metabolisch inaktiver Zellen, die als Persister oder schlafende Bakterienzellen bekannt sind (Wiesner u.a., 2011).

Intrazelluläre bakterielle Gemeinschaften:

engl. intracellular bacterial communities (IBC). Uropathogene Bakterien können auch in die Urothelzelle eindringen und dort eine biofilm-ähnliche Gemeinschaft bilden. Diese schützt die Bakterien vor dem Immunsystem, ist der Auslöser von rezidivierenden Harnwegsinfektionen und kann Beschwerden auslösen, obwohl die Standarddiagnostik eine Harnwegsinfektion nicht nachweisen kann (Wiesner u.a., 2011).

Toxinbildung:

Uropathogene Erreger produzieren Toxine, welche Epithelzellen zerstören (α-Hemolysin oder cytotoxic necrotizing factor CNF1). Die Zelllyse und Hämaturie setzten wichtige Nährstoffe wie Eisen für die Bakterien frei, weiterhin wird die Invasion in tiefere Epithelschichten ermöglicht.

Molekulare Risikofaktoren für eine Harnwegsinfektion:

Je nach Risikofaktor wird entweder das Risiko für eine Bakteriurie, für eine Zystitis und/oder für eine Pyelonephritis erhöht: HLA-A3, eine geringe Sekretion des Lewis-Blutgruppenantigen über den Urin, Blutgruppenantigen P1, Expression des globo-A Epitop des AB0-Systems auf Epithelzellen, Sekretion von IgA über den Vaginalschleim, Defekte der TLR4 Signaltransduktionskaskaskade (toll-like receptor 4), unterschiedliche Sekretion von antimikrobiellen Peptiden (Ambite u.a., 2016).

Geschlechtsunabhängigie Risikofaktoren für eine Harnwegsinfektion:

Weibliche Risikofaktoren für eine Harnwegsinfektion:

Männliche Risikofaktoren für eine Harnwegsinfektion:






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Literatur

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  English Version: Causes of urinary tract infection