Dr. med. Dirk Manski

 Sie sind hier: Startseite > Nieren > Wilms-Tumor

Wilms-Tumor: Diagnose und Therapie des Nephroblastoms

Definition des Wilms-Tumors

Der Wilms-Tumor (auch Nephroblastom genannt) ist ein seltener maligner Nierentumor mit Manifestation bei Kindern, welcher aus Resten von unreifen Gewebe der Nierenentwicklung entsteht (Graf u.a., 2003) (Kalapurakal u.a., 2004) (Metzger u.a., 2005) (Wu u.a., 2005).

Epidemiologie des Wilms-Tumors

Inzidenz 1/100 000 bei Kindern unter 15 Jahre, medianes Erkrankungsalter 3,5 Jahre. Ausgeglichenes Geschlechterverhältnis.

Assoziation mit seltenen genetischen Syndromen:

Denys-Drash Syndrom:

45,X/46,XY gemischte Gonadendysgenesie mit variablem Phänotyp, renale mesangiale Sklerose, Wilms-Tumor (50% Risiko) und WT1-Mutationen (s. u.).

WAGR-Syndrom:

Wilms-Tumor in 50 %, Aniridie, Genitale Anomalien, mentale Retardierung, WT1 Mutationen (s. u.).

Beckwith-Wiedemann Syndrom:

4–10 % Wilms-Tumor, überschießendes Wachstum auf zellulärer Ebene, Organebene (Makroglossie, Nephromegalie, Hepatomegalie) oder Körpersegment-Ebene (Hemihypertrophie), WT2-Mutationen (s. u.).

Perlman-Syndrom:

Sehr seltenes genetisches Syndrom mit u.a. Hydramnion, Makrosomie, beidseitige Nierentumoren mit hohem Risiko für Wilms-Tumoren.

Fanconi-Anämie D1:

Generell erhöhtes Tumorrisiko, 20% Risiko für Wilms-Tumor.

Hufeisenniere:

2–7fach erhöhtes Risiko für einen Wilms-Tumor.

Ursachen (Ätiologie) des Wilms-Tumors

Tumorsuppressor-Gene:

Der Wilms-Tumor ist ein klassisches Beispiel für den Funktionsverlust von Tumorsuppressorgenen. Aufgrund der diploiden Genausstattung sind für den kompletten Funktionsausfall eines Tumorsuppressorgens 2 genetische Ereignisse notwendig. Bei genetischen Syndromen oder familiärem Wilms Tumor wird die erste Mutation von den Eltern vererbt, die zweite Mutation in einer Organzelle führt in der weiteren Entwicklung zur Tumorentstehung.

Wilms-Tumor Suppressor-Gen 1 (WT1):

auf Chromosom 11p13. Das Genprodukt reguliert die Expression anderer Gene in der embryonalen Nierenentwicklung.

WT2:

Auf Chromosom 11p15. Genprodukt nicht bekannt.

Weitere molekulare Veränderungen:

p53-Mutationen. Im Verlauf der Tumorprogression sind der Verlust von Armen bei Chromosom 16 und 1 typisch.

Pathologie des Wilms-Tumors

Klassischer Wilms-Tumor:

Inseln von metanephritischen Blastem mit variablen epithelartigen und stromaartigen Anteilen (triphasischer Tumor).

anaplastischer Wilms-Tumor:

Starke Kernvergrößerung mit Hyperchromasie und abnormen mitotischen Teilungsfiguren sind die Kennzeichen des anaplastischen Wilms-Tumors. Ungefähr 10 % der Wilms-Tumoren. Schlechte Prognose im fortgeschrittenen Stadium aufgrund der Resistenz gegenüber der Chemotherapie.

Wilms-Tumor mit nephrogenen Resten:

Bei 30 % der Nieren mit Wilms-Tumor finden sich im ,,normalen`` Nierengewebe persistierende embryonale Zellen, welche perilobar oder intralobar liegen können. Nephrogene Reste gelten als Vorstufe für die Entwicklung des Wilms Tumor. Perilobare nephrogene Reste (PLNR) sprechen für eine spätere Störung der Embryogenese der Niere als intralobare nephrogene Reste (ILNR). Der Nachweis von PLNR oder ILNR bedeutet ein hohes Risiko für eine bilaterale oder kontralaterale zukünftige Erkrankung.

Metastasierung:

in 10 % bestehen Fernmetastasen bei Diagnosestellung, am häufigsten in Lunge, Leber, Knochen, Hirn...

Tumorstadien des Wilms-Tumors nach SIOP

Die Eingruppierung wird nach neoadjuvanter Chemotherapie und Tumornephrektomie durchgeführt.

Stadium I:

Der Tumor ist auf die Niere begrenzt. Die Ureterwand oder die Nierenbeckenwand sind nicht infiltriert. Keine Gefäßinvasion im Sinus renalis, intrarenale Gefäße dürfen infiltriert sein. Komplette Resektion.

Stadium II:

Der Tumor überschreitet die Organkapsel (perirenales Fettgewebe, Sinus renalis, Lymphgefäße), aber komplette Resektion.

Stadium III:

Unvollständige lokale Tumorentfernung (auch Tumorruptur, fragmentierung des Tumorthrombus, vorangegangene Biopsie), keine hämatogene Metastasen.

Stadium IV:

Fernmetastasen, insbesondere in Lunge, Leber, Knochen und Gehirn.

Stadium V:

Bilaterales Nephroblastom bei Diagnosestellung.

Klinik des Wilms-Tumors

Abdominaler Tumor, Bauchschmerzen und Hämaturie sind typische Zeichen. Hypertonie durch Reninsekretion in 25 %, Erbrechen, Fieber und Varikozele sind seltener. Wichtig ist die Suche nach assoziierten Fehlbildungen wie Aniridie, Hemihypertrophie und genitalen Anomalien.

Diagnostik des Wilms-Tumors

Laboruntersuchungen:

Tumormarker existieren nicht. Wichtig ist die Analyse des 24 h-Sammelurins auf Katecholamine zum Ausschluss eines Neuroblastoms.

:

Die Sonographie zeigt eine Raumforderung der Niere, mit Doppler-Sonographie kann eine Nierenvenen- oder V. cava-Beteiligung nachgewiesen werden.

CT- oder besser MRT-Abdomen:

Die radiologische Abgrenzung zu anderen soliden Tumoren des Kindesalters ist nicht sicher möglich (Neuroblastom, renales Lymphom). Eine weitere wichtige Rolle der Bildgebung ist die Evaluation der Nierenfunktion und das Aufdecken einer bilateralen Erkrankung.

Rö-Thorax oder besser CT-Thorax:

Metastasensuche.

MIBG-Szintigraphie:

Bei unsicherer Abgrenzung zum Neuroblastom.

Tumorbiopsie:

Nur bei unklarer Diagnose (untypische Bildgebung) vor geplanter neoadjuvanter Chemotherapie.

Genetische Diagnostik und Beratung:

Die genetische Diagnostik ist angezeigt bei Vorliegen eines familiär gehäuft vorkommenden Wilms-Tumors oder bei o.g. klinischen Syndromen.

Therapie des Wilms-Tumors

Aufgrund der kleinen Fallzahlen ist die Behandlung im Rahmen von großen Studien notwendig. Es existieren zwei unterschiedliche Therapieansätze:

Therapieschema nach NWTS/COG:

Die National Wilms-Tumor Study/Children Oncology Group aus den USA bevorzugt eine primär operative Therapie ohne neoadjuvante Chemotherapie. Die postoperative Histologie und Tumorstadium entscheidet über die adjuvante Chemo- und Strahlentherapie. Nach NWTS besteht die Notwendigkeit einer neoadjuvanten Chemotherapie bei bilateralem Befall mit Wilms-Tumor, fehlender Möglichkeit einer kompletten Tumorresektion (intraoperative Entscheidung) oder mit Befall der Vena cava oberhalb der Lebervenen.

Therapieschema nach SIOP:

Die International Society of Pediatric Oncology (SIOP) Empfehlungen werden v.a. in Europa angewendet. Sie bevorzugen eine neoadjuvante Chemotherapie vor operativer Therapie. Eine primäre Tumorbiopsie ist bei eindeutiger bildgebender Diagnose ist bei Kindern über sechs Monate und unter 16 Jahren nicht indiziert. Die neoadjuvante Therapie senkt das Tumorstadium vor operativer Therapie und reduziert die Rate an inkompletten Resektionen oder Tumorruptur. Nach Tumornephrektomie wird in Abhängigkeit von postoperativen Tumorstadium und Histologie eingruppiert, dies entscheidet über eine adjuvante Chemotherapie und Strahlentherapie. Primär operiert werden Patienten, die unter 6 Monate oder über 16 Jahre alt sind, da bei ihnen ein höheres Risiko besteht, nicht an einem Nephroblastom erkrankt zu sein.

Tumornephrektomie:

Die Tumornephrektomie wird grundsätzlich transperitoneal durchgeführt und beinhaltet neben der möglichst kompletten Resektion das genaue intraoperative Staging (Lk, Leber, Peritoneum, Vena cava).

Chemotherapie:

Die Chemotherapie wird immer als Kombinationschemotherapie verabreicht. Die effektivsten Medikamente sind Actinomycin-D und Vincristin. Diese beiden Medikamente werden in höheren Stadien mit Anthracyclinen (Epirubicin, Doxorubicin) ergänzt.

Strahlentherapie:

Die Indikation richtet sich nach der Histologie und dem lokalen Stadium nach neoadjuvanter Chemotherapie und Tumornephrektomie. Indikation zur Strahlentherapie sind Tumoren mit lokalem Stadium III , Tumoren mit hoher Malignität ab lokalem Stadium II und auf die Chemotherapie unzureichend ansprechende Lungenmetastasen.

Früherkennung:

Sonographische Früherkennungsuntersuchungen alle 3–4 Monate sollte bei Kindern mit über 5%igem Risiko für einen Wilms-Tumor durchgeführt werden (u.a. WAGR-Syndrom, Beckwith-Wiedemann Syndrom, familiärer Wilms-Tumor).

Prognose

90% aller Kinder mit einem Nephroblastom können geheilt werden. Die Prognose ist abhängig vom Tumorstadium und dem histologischem Subtyp. Prognostisch ungünstig sind Metastasen und Tumoren mit hoher Malignität (anaplastischer oder blastemreicher Wilms-Tumor).






 Sachregistersuche: A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z


Literatur Wilms-Tumor

Graf, N. & Reinhard, H. [Wilms tumors. Diagnosis and therapy].
Urologe A 2003, 42, W391-407; quiz W408-9


Kalapurakal u.a. 2004 KALAPURAKAL, J. A. ; DOME, J. S. ; PERLMAN, E. J. ; MALOGOLOWKIN, M. ; HAASE, G. M. ; GRUNDY, P. ; COPPES, M. J.: Management of Wilms’ tumor: current practice and future goals.
In: Lancet Oncol
5 (2004), Nr. 1, S. 37–46

Metzger, M. L. & Dome, J. S. Current therapy for Wilms' tumor.
Oncologist, 2005, 10, 815-826.

Wu u.a. 2005 WU, H. Y. ; SNYDER, 3rd ; D'ANGIO, G. J.: Wilms’ tumor management.
In: Curr Opin Urol
15 (2005), Nr. 4, S. 273–6

Das könnte Sie auch interessieren:

Krankheiten der Kinderurologie

  English Version: Wilms tumor (nephroblastoma)