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Hypospadie: Häufigkeit, Ursachen und Symptome
Definition der Hypospadie
Die Hypospadie ist eine häufige Fehlbildung des Penis mit einer abnormen ventralen Mündung der Harnröhre, ein ventral unzureichend angelegtes Präputium (dorsale Schürze) und einer von Meatus bis Glansspitze reichenden Urethralplatte (Chorda). Fakultativ besteht eine zusätzliche ventrale Verkrümmung des Penis (Kraft u.a., 2010) (Baskin u.a., 2000). Die Klassifikation richtet sich nach der Meatusposition:
- glandulär
- koronar
- penil (distal-mitte-proximal)
- skrotal
- perineal
Häufigkeit (Epidemiologie) der Hypospadie
5–37 pro 10000 Geburten, je proximaler desto seltener. Die Häufigkeit der Hypospadie ist zunehmend (siehe Ätiologie).
Risikofaktoren für eine Hypospadie:
Familiäre Häufung: ungefähr 7 % der Hypospadiepatienten haben Väter mit Hypospadie. Brüder von Patienten mit Hypospadie haben ein Risiko von 14% für eine Hypospadie.
Weitere Risikofaktoren:
erhöhtes Alter der Mutter, niedriges Geburtsgewicht, in-vitro Fertilisation.
Ursachen der Hypospadie (Ätiologie)
Embryologie Harnröhre:
Die Urethra entsteht aus der Urethralplatte, welche sich unter Androgeneinfluss tubularisiert. Die Tubularisierung beginnt perineal in der 11. SSW und zieht nach distal, an der Entwicklung ist entodermales und ektodermale Gewebe beteiligt. Die Androgenwirkung wird über die 5α-Reduktase vermittelt.
Im Falle einer Hypospadie betrifft die Fehlbildung das entodermale und ektodermale Gewebe. Ein Beispiel für eine ektodermale Fehlbildung ist das Präputium, dieses ist bei einer Hypospadie ventral nicht ausgebildet und liegt schürzenähnlich dorsal an. Endodermale Fehlbildungen beeinhalten die abnorme Meatusposition und die defiziente Urethra distal des Meatus (urethrale Platte).
Androgenmangel:
ein absoluter (erniedrigte Konzentration) oder relativer (verminderte Sensitivität des Zielgewebes) Androgenmangel ist eine Hauptursache der Hypospadieentwicklung. Viele Enzymdefekte sind dafür bekannt, wie z. B. 5alpha-Reduktase-Mangel, Defekte des Androgenrezeptors. In 10–70 % der schweren proximalen Hypospadien ist ein Enzymdefekt der Androgensynthese oder eine Hormonerkrankung mit Auswirkung auf den Androgenhaushalt nachweisbar.
Genetik:
Die Hypospadie ist eine polygenetische Erkrankung, dies kann aus der familiären Häufung und Zwillingsstudien geschlossen werden. Das Risiko einer Hypospadie bei Brüdern von Indexpatienten beträgt etwa 10–14%. Neben Enzymdefekten des Androgenhaushalts (s.o.) sind die meisten Gene noch unbekannt. Die Hypospadie ist auch ein Symptom bei einer Reihe von genetischen Syndromen wie Denys-Drash-Syndrom (postnatales nephrotisches Syndrom und Wilms-Tumor durch Mutation des WT1 Gens), Opitz-G/BBB-Syndrom (kranio-faziale Fehlbildungen, Fehlbildungen des Larynx und Pharynx und seltener ventrale Mittellinien-Defekte), Smith-Lemli-Opitz-Syndrom (Stoffwechselstörung der Cholesterinbiosynthese mit multiplen Anomalien), Pätau-Syndrom (Trisomie 13) und Hand-Fuss-Genital-Syndrom (Malformationen der Extremitäten und Genitalorgane).
Umweltgifte:
Die steigende Inzidenz in Industrienationen spricht für Umweltgifte, welche neben Hypospadie auch das Risiko für andere Krankheiten erhöhen (Infertilität, Kryptorchismus, Frühgeburten, Hodentumoren). Als Auslöser werden zahlreiche Stoffe (endokrine Disruptoren) in Kunststoffen und Pestiziden diskutiert (DeToni u.a., 2019) (Rodprasert u. a., 2021).
Penisdeviation bei Hypospadie:
früher wurde eine Chordaverkürzung ursächlich für die ventrale Penisdeviation angesehen, dies wird inzwischen durch viele Studien angezweifelt. Die ventrale Deviation des Penis wird nun als Teil der normalen Penisentwicklung angesehen. Weiterhin ist die Erhaltung und Verwendung der Urethralplatte für die Hypospadie-Operation nach Snodgrass essentiell. In der Mehrzahl der Fälle geht die Penisdeviation von der Tunica albuginea aus und kann durch die Nesbit-Technik ausgeglichen werden.
Symptome der Hypospadie
Die Hypospadie verursacht keine Beschwerden. Distale Hypospadien ohne Deviation verursachen keine funktionellen Einschränkung und sind "nur" ein kosmetisches Problem, ausgelöst durch die Erwartungen der Eltern und Patienten [Abb. koronare Hypospadie]. Bei proximalen Hypospadien kann der Harnstrahl schlechter kontrolliert werden. Eine begleitende Penisdeviation kann den GV stören.
Begleitende Fehlbildungen:
Kryptorchismus oder andere Störung der Geschlechtsentwicklung (7 %), Phallus bifidus, Leistenhernie (12 %), verzögerte psychische Entwicklung (6 %) oder Fehlbildung des Herzens (5 %), Bewegungsapparates (3 %) oder Analkanals (1 %), siehe auch oben Abschnitt Genetik.
Diagnose der Hypospadie
Basisdiagnostik:
Neben der sorgfältigen Dokumentation der körperlichen Untersuchung (Meatusposition, Penislänge, Konfiguration des Präputiums und Skrotums, Hodenposition) ist die Sonographie der Harnorgane sinnvoll.
Diagnostik bei skrotaler und perinealer Hypospadie:
Bei proximalen Hypospadien besteht ein erhöhtes Risiko für Störungen der Geschlechtsentwicklung, welche mit folgenden Untersuchungen erfasst werden können:
- Ausführliche Familienanamnese mit Stammbaum
- Hormonanalyse
- Karyogramm
- Beckensonographie, MRT und/oder retrograde Genitographie
- MCU
- Zystoskopie
- Je nach Befunden ist eine genetische Beratung und weitere Diagnostik sinnvoll.
Therapie der Hypospadie
Zeitpunkt und Indikation
Hinsichtlich der Wundheilung gilt als idealer OP-Zeitpunkt der 12. bis 18. Lebensmonat. Die Operation bei Kleinkindern ist unstrittig bei ausgeprägter Hypospadie (proximale Formen) oder bei Hypospadien mit relevanter Harnröhrenenge. Bei distalen und mittleren Formen ohne Begleitpathologie sollte die Einwilligungsfähigkeit des Patienten abgewartet werden (Carmack u.a., 2016). Bei intersexuellen Patienten ist die Hypospadieoperation (als nichtvitale geschlechtsangleichende Operationen) vor der Pubertät ohne Zustimmung des Familiengerichts nicht erlaubt.
Prinzipielle Gliederung der operativen Therapie:
ausführliche Darstellung Kapitel Operationstechniken/Allgemeine Grundsätze zu Hypospadieoperationen.
Orthoplastik:
Ausgleich der Penisverkrümmung nach artifizieller Erektion durch Plikationsnähte oder mit Grafting bei kurzem Penis oder starker Deviation. Die Resektion der Chorda penis (Urethralplatte) wird nur noch selten durchgeführt. Bei der TIP Urethroplastik (s. u.) ist die Erhaltung der Chorda obligat.
Urethroplastik:
Rekonstruktion der fehlenden Urethra. Die unten genannten Operationstechniken unterscheiden sich vor allem in der Technik der Urethroplastik. Zur Anwendung kommen Lappenplastiken, Inzision der Urethralplatte und Tubularisierung, freie Transplantate wie Mundschleimhaut...
Deckung der Neourethra:
Mit einer zweiten gut durchbluteten Gewebeschicht, meist gestielter Subkutanlappen aus dem Präputium oder Skrotum (Tunica dartos).
Meatoplastie und Glanuloplastie:
Rekonstruktion des Meatus und der Glans, um einen Meatus an der Spitze des Penis mit einem vertikalen Schlitz zu erreichen.
Hautverschluss:
nach Resektion oder Transfer von Präputiumresten.
MAGPI-OP:
Meatal advancement and glanuloplasty (Duckett, 1981b). Die Technik verlagert den Meatus nach distal ohne echte Verlängerung der Harnröhre und ist nur für glanduläre Hypospadien geeignet. Technik und Komplikationen siehe Kapitel Operationstechniken/MAGPI-OP nach Duckett.
Tubularized incised plate (TIP)-Urethroplastie:
Die Tubularized incised plate (TIP)-Urethroplastie ist eine Technik zur Tubularisierung der Urethralplatte, sie eignet sich für distale bis proximale penile Hypospadien (Snodgrass, 1994). Die TIP-Urethroplastik gilt als technisch einfach und besitzt eine niedrige Komplikationsrate, das kosmetische Ergebnis der Glans und des Meatus ist gut. Weiterhin ist die Technik für Rezidivoperationen bei erhaltener urethraler Platte geeignet. Die Chorda (urethrale Platte) wird nicht entfernt, sondern longitudinal tief inzidiert, die Lefzen mobilisiert und um einen Katheter verschlossen. Technik und Komplikationen siehe Kapitel Operationstechniken/Tubularized incised plate (TIP)-Urethroplasty.
Mathieu-OP:
Die Mathieu-Urethroplastie ist eine lokale Schwenklappenoperation zur Therapie der distalen Hypospadie (Mathieu, 1932) als auch für Rezidivoperationen. Ein Hautareal über der proximalen Harnröhre wird rechteckförmig ausgeschnitten und nach distal umgeklappt. Technik und Komplikationen siehe Kapitel Operationstechniken/Mathieu Hypospadie-Operation.
Gestielter Insellappen nach Duckett:
Ein gestielter Präputiallappen wird für die Rekonstruktion der fehlenden Harnröhre bei distaler bis proximaler peniler Hypospadie verwendet (Duckett, 1981a). Der gestielte Vorhautlappen (=Insel) wird aus dem inneren Präputialblatt mit Dartosschicht präpariert. Der Lappen bedeckt in Onlay-Technik die Urethralplatte oder ersetzt als Rohr die distale Harnröhre, wenn die Urethralplatte insuffizient ist. Technik und Komplikationen siehe Kapitel Operationstechniken/Duckett Hypospadie-Operation.
Zweizeitige Hypospadie-Korrektur:
Indikationen sind fehlgeschlagene Hypospadie-Operationen und ausgeprägte proximale Hypospadien. Technik und Komplikationen siehe Kapitel Operationstechniken/Zweizeitige Hypospadie-Operationen.
Hypospadie-Korrektur mit freiem Mundschleimhauttransplantat:
Indikationen sind fehlgeschlagene Hypospadie-Operationen. Technik und Komplikationen siehe Kapitel Operationstechniken/Allgemeine Grundsätze zu Hypospadieoperationen.
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Literatur
Baskin 2000 BASKIN, L. S.:
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In: Urol Clin North Am
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Snodgrass 1994 SNODGRASS, W.:
Tubularized, incised plate urethroplasty for distal hypospadias.
In: J Urol
151 (1994), Nr. 2, S. 464–5
English Version: Hypospadias