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Radiogene Zystitis: Strahlenzystitis
Definition der radiogenen Zystitis
Die Strahlenzystitis ist die Schädigung der Harnblase im Rahmen einer Strahlentherapie von Malignomen der benachbarten Organe oder der Harnblase (Crew u.a., 2001).
Epidemiologie der Strahlenzystitis
5–21 % der Patienten mit einer Strahlentherapie der pelvinen Region entwickeln LUTS. Bei bis zu 9 % der Patienten entsteht eine moderate oder schwere Makrohämaturie aufgrund einer radiogenen Zystitis.
Ätiologie der Strahlenzystitis
Die Schwere der Erkrankung ist abhängig von der Strahlendosis. Drei Phasen der Gewebereaktion nach Bestrahlung sind zu unterscheiden.
Akute Reaktion:
Innerhalb von 4–6 Wochen entsteht eine entzündliche Reaktion (Gewebeödem, Hyperämie). Aufgrund der relativ langsamen Epithelregenerationszeit der Harnblase entsteht diese Phase deutlich später als beim Darmepithel. Nach Regeneration des Epithels heilt der Strahlenschaden entweder aus oder die zweite Phase der Gewebereaktion folgt.
Ischämische Reaktion:
Durch Nekrose des vaskulären Endothels und Fibrose des perivaskulären Bindegewebes entsteht in der zweiten Phase der Gewebereaktion ein ischämischer Gewebeschaden. Histologisch zeigt sich das Bild einer obliterativen Endarteriitis. Durch die fortschreitende Entwicklung wird das Gewebe auf äußere Einflüsse immer empfindlicher, die Heilungsfähigkeit ist deutlich herabgesetzt. Klinisch entstehen rezidivierende Makrohämaturien in Reaktion auf Entzündungen, eine Harnblasenfistel kann sich ausbilden.
Fibrotische Reaktion:
In Folge der Ischämie entsteht als dritte Gewebereaktion eine fortschreitende Fibrose und Schrumpfung. Die fibrotische Schrumpfung kann bis über 10 Jahre nach Strahlentherapie auftreten.
Klinik der Strahlenzystitis
- Hämaturie, Dysurie, Pollakisurie, Nykturie
- Rezidivierende Harnwegsinfektionen
- Klinische Hinweise für eine Harnblasenfistel sind Harninkontinenz und Pneumaturie.
- Zur Klassifikation der Nebenwirkungen nach Strahlentherapie auf Harnblase und Rektum siehe Tabelle Spätnebenwirkungen nach Strahlentherapie.
Graduierung | Gastrointestinaltrakt | Urogenitaltrakt |
Grad 1 | vermehrter Stuhlgang ohne Notwendigkeit der Medikation, geringer Blut- oder Schleimabgang | Mikrohämaturie, LUTS ohne Notwendigkeit der Medikation |
Grad 2 | Diarrhoe mit Notwendigkeit einer oralen Medikation, Bauchkrämpfe, Schleim und zeitweiliger Blutabgang ohne Notwendigkeit von Vorlagen | Moderate Pollakisurie (>1/h), gelegentliche Makrohämaturie, zahlreiche Teleangiektasien |
Grad 3 | Diarrhoe mit Notwendigkeit von Vorlagen oder der parenteralen Substitution, operationsbedürftige Stenosen, transfusionspflichtige Blutungen | schwere Pollakisurie (<1/h), schwere Dysurie, häufige Hämaturie, Harnblasenkapazität unter 150 ml |
Grad 4 | Perforationen, Fisteln, lebensbedrohliche Blutungen, Nekrosen | Perforationen, Fisteln, schwere hämorrhagische Zystitis, Harnblasenkapazität unter 100 ml |
Grad 5 | jede tödliche Komplikation | jede tödliche Komplikation |
Diagnostik der Strahlenzystitis
Anamnese (Bestrahlungsfelder, Dosis, Strahlenart), Zystoskopie (ggf. mit Biopsie), MCU bei V. a. Fistelbildung.
Therapie der Strahlenzystitis
Akute Zystitis nach Bestrahlung:
Häufige (in Kauf genommene) Nebenwirkung bei bis zu 60 % der Bestrahlungen. Symptomatische Therapie mit Anticholinergika, NSAR und/oder Harnblaseninstillationen zur Regeneration der GAG-Schicht mit z.B. Chondroitinsulfat (Madersbacher u.a., 2012). Bei Makrohämaturie kann die Diurese gesteigert werden, evtl. ist eine Harnblasenspülung notwendig.
Endoskopische Therapie (TURB):
Die TURB/Koagulation Harnblase ist indiziert bei Harnblasentamponade, persistierender Makrohämaturie oder bei unklarer Makrohämaturie zur Diagnosesicherung.
Orale Therapie:
Mit ε-Aminocapronsäure, einem Inhibitor der Fibrinolyse (Antagonist zur Urokinase), welcher zu 80 % renal aktiv ausgeschieden wird. Dosierung: bis zu 35 mg 1–1–1–1 über 4 Wochen oral. Indikation: persistierende Makrohämaturie nach endoskopischer Blutstillung (off-label Therapie).
Intravesikale Therapie:
Folgende Substanzen können bei therapierefraktärer Makrohämaturie instilliert werden:
ε-Aminocapronsäure:
0,02%ige Lösung als Dauerspülung über 1–2 Tage.
Alumen oder Alaun:
Kalium-Aluminiumsulfat als 1%ige Lösung. Spülung der Harnblase mit 100 bis 600 ml/h. Eine Aluminiumtoxizität ist bei mehrtägiger Therapiedauer und eingeschränkter Nierenfunktion möglich.
Formalin:
als 1%ige Lösung. Instillation in Narkose über 10 min. Durch die Denaturierung der oberflächlichen Schichten entsteht die Blutstillung, die Instillation ist aufgrund starker Schmerzen nur in Narkose möglich.
Hohe Nebenwirkungsrate: Ureterstrikturen, Harnblasenperforation, Harnblasenfisteln, Schrumpfblase, akute tubuläre Nekrose, Papillennekrosen, Anurie. Vor Therapie ist ein MCU zum Ausschluss eines vesikoureteralen Reflux notwendig. Lagerung des Patienten mit erhöhtem Oberkörper. Die Harnblase wird mit 15 cm Wassersäule per Schwerkraft bis zur Harnblasenkapazität gefüllt, nach 10 min Instillation wird das Formalin abgelassen und die Harnblase mit destilliertem Wasser ausgespült.
Silbernitrat:
0,25–1%ige Lösung. Anwendung siehe Formalin.
Weitere Therapieoptionen:
Hyperbare Sauerstofftherapie:
Die hyperbare Sauerstofftherapie führt zur Reduktion des ischämischen Schadens und kann damit zur langfristigen Verbesserung der Hämaturie beitragen. Die Therapieschemata sind sehr unterschiedlich: 10–60 Behandlungen, 2–3 atm Sauerstoff, 75–120 min Dauer. Verbesserung im Langzeitverlauf nur 30 %. Kaum Nebenwirkungen.
Palliative Zystektomie:
Indikationen: unstillbare Makrohämaturie, Harnblasenfistel, Schrumpfblase, therapieresistente Schmerzen. Die Morbidität und Mortalität ist höher als bei der Zystektomie ohne vorangegangene Bestrahlung. Als Harnableitung ist ein Kolon-Conduit oder eine Harnleiterhautfistel möglich, der Dünndarm ist aufgrund der Bestrahlung häufig ungeeignet.
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Literatur
Crew u.a. 2001 CREW, J. P. ; JEPHCOTT, C. R. ;
REYNARD, J. M.:
Radiation-induced haemorrhagic cystitis.
In: Eur Urol
40 (2001), Nr. 2, S. 111–23
Madersbacher, H.; van Ophoven, A. & van Kerrebroeck, P.
E. V. A.
GAG layer replenishment therapy for chronic forms of cystitis
with intravesical glycosaminoglycans-A review.
Neurourol Urodyn, 2012.
English Version: Radiation cystitis